1945 - Marschall Georgi Schukow. Oberkommandierender der SMAD

Vor 75 Jahren rette am 13. Oktober 1945 der SMAD-Befehl Nr. 93 den Automobilstandort Eisenach

Am Ende des Zweiten Weltkriegs lag die Eisenacher BMW-Fahrzeugfabrik in Schutt und Asche. Über 60% der Fabrikanlagen waren zerstört und 18.000 m³ Trümmerschutt blockierte die Zufahrtswege. Nach dem Einmarsch der US-Truppen am 6. April 1945, begannen nur Aufräumungsarbeiten und ab Mai 1945 im geringen Maße erste Notproduktionen von Küchengeräten. An einer Wiederaufnahme der Automobilfertigung war nicht zu denken. Nach dem Abzug der Amerikaner besetzte am 3. Juli 1945 die Rote Armee ganz Thüringen und die Eisenacher BMW Fahrzeugfabrik wurde umgehend beschlagnahmt und enteignet. Die russischen Truppen begannen umgehend mit der Demontage der Eisenacher BMW-Werke, die die Siegermächte schon im Februar 1945 auf der legendären Konferenz von Jalta beschlossen hatten. Die nunmehr verstaatlichte „Eisenacher Fahrzeug- und Maschinen GmbH“ begann mit den vorhandenen Möglichkeiten die Notproduktion auszubauen, um mit dem Verkaufserlös aus der Fertigung von Haushalts- und Küchengenständen, Schubkarren, Schaufeln und Handwagen die Löhne für die umfangreichen Aufräumungsarbeiten zu finanzieren. Während einerseits die zerstörten Kanäle der Strom-, Gas-, Dampf- und Wasserleitungen notdürftig wieder instandgesetzt wurden, ging gleichzeitig die Demontage des ehemaligen „Kriegsmusterbetriebs BMW“ weiter. Aber die von den Sowjets eingesetzte neue Werkleitung versuchte gemeinsam mit dem Arbeiterausschuss die Fahrzeugproduktion wieder aufzunehmen und die Demontage zu stoppen. So fuhr man gemeinsam zum Oberkommandierenden der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) Marschall Georgi Schukow, nach Berlin-Karlshorst und stellte dort einen aus vorhandenen Teilen gebauten Personenwagen BMW 321 vor. Die Eisenacher argumentierten, dass es günstiger sei, mit den in Eisenach vorhandenen Fachkräften Autos herzustellen und als Reparation in die Sowjetunion zu liefern, anstatt das ganze Werk zu demontieren. Schukow war anfangs sehr skeptisch.  Als letzte überzeugende Maßnahme wurde von Eisenacher Seite angeboten, innerhalb von sechs Tagen fünf neue gefertigte Personenwagen vom Typ BMW 321 in Berlin beim sowjetischen Oberkommando zu präsentieren.

Unter größten Kraftanstrengungen wurde in Eisenach Tag und Nacht gearbeitet und die notwendigen Teile wurden teils noch bei Thüringer BMW-Vertragswerkstätten aufgetrieben. Es gelang tatsächlich fünf BMW 321 in mühevoller Handarbeit zusammenzubauen und als funktionsfähige und hochwertige Personenwagen vereinbarungsgemäß beim sowjetischen Oberkommando vorzustellen. Marschall Schukow ließ sich überzeugen und erließ am 13. Oktober 1945 den Befehl Nr. 93: „Inbetriebnahme der Automobil- und Motorradproduktion im ehemaligen BMW Werk, Zweigniederlassung Eisenach.“ Der Standort war gerettet und die Demontage gestoppt.

Mit diesem Befehl regelte Schukow die Bereitstellung aller notwendigen Ressourcen zum Beginn der Fahrzeugfertigung, einschließlich der Rückholung der über 1.900 Werkzeugmaschinen, die in den Thüringer Kalischächten eingelagert waren. Er verlangte aber auch  die jährliche Produktion von 3.000 Pkw der größeren Limousine BMW 326 und 3.000 Motorrädern vom Typ BMW R35. Diese Zahlen waren natürlich illusorisch, aber die Eisenacher Vertreter nahmen diese Vorgaben ohne Kommentar entgegen, um das erhaltene Privileg der Produktionsaufnahme nicht zu gefährden. Die umgehende Vorbereitung der Fahrzeugfertigung war mehr als mühselig. Zwar regelte der legendäre SMAD-Befehl Nr.93, dass sowohl die neue zivile Thüringer Selbstverwaltung, als auch die Zentralverwaltung in der sowjetischen Besatzungszone das Eisenacher Werk mit Rohstoffen, Halbfabrikaten. Kohle, Benzin, Gas und Transportkapazitäten zu unterstützen hatten, aber dies war nur ein Teil der Wahrheit. Viele Teile der Fahrzeugproduktion, wie Getriebe, Kurbelwellen, Kardanwellen, Benzintankgeber, Batterien oder Biluxlampen wurden von BMW vor dem Krieg von Zulieferern bezogen, die jetzt in den Westzonen lagen und nicht mehr zur Verfügung standen. Dafür mussten umgehend neue Zulieferer aus der sowjetischen Besatzungszone gefunden werden oder es war eine eigene Fertigung dieser Teile aufzubauen. Durch die veranlasste Rückholung der Werkzeugmaschinen aus den Thüringer Kalischächten konnte in kürzester Zeit ein neuer Getriebebau eingerichtet werde. Für die Endmontage wurde mit dem Bau einer neuen Halle begonnen. Das Hauptproblem war allerdings die Karosseriefertigung für die vom sowjetischen Oberkommando geforderte Limousine BMW 326. Die viertürigen Ganzstahlkarossen für den BMW 326 wurden bis 1942 von Karosseriebauer AMBI-Budd aus Berlin-Johannisthal angeliefert.

Daher wurde entschieden, in Eisenach zuerst mit der Fertigung des kleineren BMW 321 zu beginnen, dessen zweitürige Ganzstahlkarosse seit 1939 in Eisenach gefertigt wurde. So lief langsam die Produktion wieder an und  bis Jahresende 1945 verließen bereits die ersten 68 Pkw BMW 321 und 75 Motorräder vom Typ BMW R35 wieder die Eisenacher Werkhallen. Der Standort war endgültig gerettet und in den Folgejahren wurde die Fahrzeugproduktion wie der schrittweise ausgebaut.

Was heute wie ein Wunder der Geschichte wirkt, hat viel mit der Person vom Marschall Georgi Schukow zu tun. Auch wenn er in der Nachkriegszeit eine nicht unumstrittene Persönlichkeit war, war offensichtlich nur er in der Lage sich über die Demontagebeschlüsse der alliierten Staats- und Regierungschefs Josef Stalin, Franklin Roosevelt und  Winston Churchill hinwegzusetzen. Als Sieger von Berlin und der Verteidiger von Leningrad galt Schukow als unantastbarer sowjetischer Kriegsheld und hatte so in der sowjetischen Besatzungszone die alleinige Macht. Nur deshalb konnte die Demontage in Eisenach gestoppt werden und der Automobilstandort existiert ja bis heute hier fort.