Ehemalige Vertragsarbeiter im Zeitzeugenprogramm interviewt
In Kooperation mit dem Wartburgradio 96,5 führte Dr. Jessica Lindner-Elsner, Leiterin des Archivs der Stiftung Automobile Welt, am 7. und am 27. August Zeitzeugeninterviews mit zwei ehemaligen DDR-Vertragsarbeitern: dem gebürtigen Mosambikaner und Wahlerfurter Victor Faustino sowie dem in Eisenach lebenden Kubaner Osvaldo Roque Lopez. Unterstützt wurde sie dabei von der Geschichtsstudentin Marie Bullerschen, die aktuell ein Praktikum im Stiftungsarchiv absolviert.
Victor Faustino kam 1981 als 20-Jähriger in die DDR, um eine Ausbildung in der Landwirtschaft zu absolvieren. Acht Jahre später nahm er ein Studium an der Karl-Marx-Universität in Leipzig auf, das er 1993 als Agraringenieur für tropische Landwirtschaft im bereits wiedervereinigten Deutschland abschloss. Nicht alle ausländischen Vertragsarbeiterinnen bzw. -arbeiter und Studierende hatten dieses Privileg: Viele mussten den Rückflug in ihr Heimatland antreten. Die vertraglichen Beziehungen zwischen Mosambik und der DDR verloren mit dem Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland ihre Gültigkeit. Für die Rückkehrer und Rückkehrerinnen hatte das weitreichende Konsequenzen. In vielen Fällen wurden die zu Vertragsbeginn von der DDR versprochenen Löhne nie vollständig ausgezahlt. Mit dem von ihm selbst gegründeten Mosambikanischen Verein für Thüringen e.V., den die Stiftung Automobile Welt Eisenach künftig unterstützen möchte, setzt sich Faustino für die Anerkennung der Lebensleistung ehemaliger mosambikanischer Vertragsarbeiter und Vertragsarbeiterinnen ein.
Auch Osvaldo Lopez verließ als junger Mann sein Heimatland Kuba, um eine vierjährige Berufsausbildung in der Instandhaltungsabteilung des Automobilwerkes Eisenach zu erhalten. Trotz (oder gerade aufgrund) seiner freundschaftlichen Beziehungen zu den deutschen Kollegen und Kolleginnen ließen diese es sich nicht nehmen, den Deutsch-Anfänger gelegentlich aufs Glatteis zu führen: So stellten sich die neugekaufte Zahnpasta als Schuhcreme und das Päckchen Reis als Vogelfutter heraus. Nach abgeschlossener Ausbildung trat Lopez mit seiner Ehefrau und seiner Tochter die Heimreise nach Kuba an – kehrte 1988 jedoch zurück in die DDR und konnte seine Arbeit im AWE unmittelbar wiederaufnehmen. Nach der Wiedervereinigung wurde Lopez on Opel angeworben. Als einer der ersten Mitarbeiter des neuen Herstellungswerks bereitete er die noch leeren Produktionshallen für die Automobilfertigung vor. Bis heute arbeitet er im Opel-Werk Eisenach.
Die Interviews werden demnächst als Sendereihe ausgestrahlt und können auch nach der Sendezeit jederzeit online in der Wartburgradio-Mediathek angehört werden.
Text: Marie Bullerschen